Henk van Uitert: Zwangsarbeit im Lokomotivenwerk Wildau 1943-1945

 Im Sommer des Jahres 2021 machten sich junge Menschen, genauer eine achte Klasse der Ludwig Witthöft Oberschule, auf dem Weg etwas über die Vergangenheit ihres Schulorts, Wildau, herauszufinden. Sie hatten eine Woche, ihre Projektwoche, um mehr darüber zu erfahren. Es gab natürlich Vorarbeiten,  und Ideen für neue zukünftige Forschungs-Projekte. Eine Sache hat es einigen Schülern und Schülerinnen ganz besonders angetan. Aber von vorn, um was geht es eigentlich? 

Gedenkstein auf dem Waldfriedhof in Wildau
Gedenkstein Gräberfeld VII, Waldfriedhof Wildau
"Essen spielt eine große Rolle in unserem Leben"

Henk van Uitert


Der Ort Wildau liegt südlich von Berlin an der Bahnstrecke Richtung Cottbus und ist mit der S-Bahn zu erreichen. Die günstige Lage in Bezug auf Berlin und die Anbindung an die Eisenbahn gaben vor 120 Jahren den Ausschlag zur Ansiedlung eines Berliner Industriebetriebs. Die Berliner Maschinenbau A.G. (BMAG) formals L.Schwartzkopff bauten ab 1900 hauptsächlich Lokomotiven in Wildau. Dazu baute Schwartzkopff, wie das Werk und die Aktiengesellschaft umgangssprachlich genannt wurde, parallel zur Eisenbahn nicht nur ein Industriebetrieb sondern auch eine Siedlung mit Mehrfamilienwohnhäusern, Schule, Gastwirtschaft und eine Villa für den Werksdirektor. Ein Großteil dieser Häuser und viel von den ehemaligen Industriebauten steht heute noch. Unsere Schule gehört auch zu diesen, heute denkmalgeschützen, Gebäuden. Sie wurde ebenfalls im Jahr 1900 eröffnet. 

Als Zwangsarbeiter ab 1943 in Wildau: der Niederländer Henk van Uitert 

Im Jahr 2002 veröffentlichte Henk van Uitert ein Erinnerungsbuch "Zo was et/ So war es" über seine Erlebnisse 1943-1945 in Wildau. 
1943 war Henk van Uitert 20 Jahre alt und wohnte bei seinen Eltern in Amsterdam, der Hauptstadt der Niederlande. Er arbeitete bei der staatlichen Reichsversicherungsbank als Angestellter. Die Niederlande waren seit 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die niederländischen Behörden arbeiten zwar weiter mussten aber alle Weisungen und Befehle der deutschen Besatzer ausführen. Diese hatten eine Regierung und Verwaltung eingesetzt, die diese Weisungen umsetzen musste. 
Henks Freunde Wim Stevens und Hermann Hammega mussten bereits am 21.06.1943 mit einem Zug nach Deutschland zur Arbeit fahren. Da hoffte Henk noch die Arbeit bei der Reichsversicherungsbank würde ihn davor schützen, aber bereits vier Wochen später am 16. Juli 1943 fuhr auch sein Zug ab Amsterdam Hauptbahnhof nach Deutschland. Ein weiterer Schulfreund, Gerit Otjes, hatte sich bereits zuvor zur Arbeit nach Deutschland gemeldet, als Automechaniker fand er in Amsterdam keine Arbeit mehr und Arbeitslosengeld gab es nicht. Die deutschen Besatzer hatten fast alle privaten Autos beschlagnahmt.

Tage im Durchgangslager Potsdam-Rehbrücke

 Henk kam nach einer langen Zugfahrt in Potsdam-Rehbrücke an und dort in ein Durchgangslager, ein Barackenlager wo sie einige Tage abwarten mussten und registriert wurden. Die Verpflegung bestand aus einer Suppe und zwei Stullen pro Tag. Die Doppelstockbetten hatten keine Matratzen, Decken oder Kissen. Henk berichtet von seiner Enttäuschung, da sie sich ihre Arbeit nicht selber suchen durften und das Lager nicht verlassen durften. Per Lautsprecher wurden die Namen aufgerufen wenn Arbeitgeber ins Lager kamen um sich Leute auszusuchen. 

Das Durchgangslager in Rehbrücke gab es ab 1941, es war für 1200 Personen ausgelegt. Es gibt Berichte, dass tatsächlich teilweise bis zu 2000 Personen dort untergebracht worden sind. Auch wird von Ungeziefer (Bettwanzen) und unzureichender Ernährung berichtet. Weitere Durchgangslager für die berliner Region waren Priesterweg und Wilhelmshagen. 

Am 20.07.1943 wurde der Name von Henk van Uitert aufgerufen, zusammen mit 11 Niederländern und zwei Franzosen fuhr er mit der S-Bahn und der Vorortbahn nach Wildau. Er schreibt, dass sie ein älterer Werkschutzmann begleitete. 

Der Werksschutz war ein durch das Unternehmen bezahlter, Sicherheitsdienst. Er bestand oft aus älteren ehemaligen Soldaten. Der Werksschutz war meist, nicht immer, bewaffnet und wurde durch die Gestapo kontrolliert und unterwiesen. Über den Wildauer Werksschutz der Unternehmen ist nicht viel bekannt. 

Henk van Uitert begann am 21.07.1943 mit der Arbeit in der Wildauer Lokomotivenfabrik der BMAG. Er musste in der Kesselschmiede arbeiten. Seine Arbeit bestand in der Hilfe beim Annieten des Feuerkasten an den Kessel der Lokomotiven. Er stand im Kessel und musste mit die glühenden Nieten mit einer Zange hantieren.  Diese wurden mit Hämmern festgeschlagen. Eine schwere und sehr laute Arbeit. Von dem Lärm wurde Henk zeitweise taub und behält lebenslang offenbar ein Tinnitus zurück. 

 Die Arbeitszeit begann täglich um 6.00 Uhr und endete um 17.30 Uhr, mit einer halben Stunde Mittagspause und 15 Minuten Frühstück. Es wurde von Montag bis Sonnabend gearbeitet. Er verdiente 82 Pfennige pro Stunde. Das ergibt bei 64,5 Stunden Wochenarbeitszeit einen Wochenlohn von 52,89 Reichsmark. Seine Lohnabrechnung für August 1943: brutto 175,29 Reichsmark davon wurden ihm Lohnsteuer und Sozialversicherung abgezogen, so dass 145,41 Reichsmark übrig blieb. (bei 247 angerechneten Stunden)

Er war im Barackenlager oberhalb des Werkes untergebracht, er teilte sich den Raum mit 13 Mann. Um 5.00 Uhr standen sie auf, denn sie mussten den Weg um die Fabrik zum Tor nehmen dafür brauchten sie 20 Minuten. 

Henk klagt sehr über die schlechte Verpflegung. Sie wurden zentral versorgt und bekamen Mittags in der Woche an drei Tagen Suppe und an zwei Tagen nur Kartoffeln. Die Suppe nannten sie "Buntes Wasser", sie hatte keine Anteile von Fleisch oder Fett (Einlage) und keinen Geschmack. Am Sonntag gab es auch Suppe oder Brei und Abends ein kleines Stück Fleisch zur Hauptmahlzeit. Täglich kamen nur noch 400 Gramm Brot (Samstag 300 Gramm) dazu. Henk schreibt die deutschen Arbeiter bekamen "deutlich besseres Essen", aber die polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiter noch weniger. Henk konnte sich aus eigenen Vorräten abends ein Brei in der Baracke kochen. 

Anfänglich war ihm möglich zusammen mit seinen Zimmergenossen in eine Gaststätte zu gehen, dort konnten sie Bier trinken. Dies wurde ihnen durch Beschwerden der Deutschen später verwehrt. In welche Gaststätte, Henk schreibt Kneipe, ist nicht überliefert. Möglich ist hier die Gaststätte am Sportplatz Jahnstraße, das Sporthaus Wildau.  Polnische und sowjetische Zwangsarbeiter durften ihre Lager nicht verlassen. 




Quelle: Uitert, Henk van, (2002), So war es, (2.Auflage 2011). Kulturlandschaften Dahme Spreewald e.V.. Zeuthen









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