Zwangsarbeit in der Landwirtschaft


Zwangsarbeit in der Landwirtschaft

Gespräch mit der Zeitzeugin Frau Elli Müller über Hoherlehme (Ortsteil von Wildau)

Frau Müller: In Hoherlehme, ehe man um die Kurve rum aus dem Ort rausfährt in Richtung A10-Center, da ist rechts Citroen, und dahinter ist dieses Haus. Es ist einstöckig. Da waren damals Gitter davor. Es war ja oben ein Gut, und denen gehörte auch dieses Haus damals. Das Gutshaus wurde nach 1945 abgerissen. Da wurden die Neubauernhäuser gebaut. Die ganzen Ländereien, wo heute das A10-Center und das Gewerbegebiet ist, das gehörte alles zu dem Gut.

Iwan, Passfoto welches 1942 oder 1943 entstand


Es wurde nicht viel geerntet, weil sie nichts gedüngt, nicht viel gemacht haben, aber die hatten ihre Tagelöhner und die Ostarbeiter bzw. Polen. Hinterher hat dieses Haus der LPG gehört. Wem es heute gehört, weiß ich nicht. In diesem Huas wohnten die Polen, zumindest am Anfang des Krieges.

Meine Eltern haben eine Landwirtschaft gehabt, und jeder hatte da ein oder zwei Polen von diesen Leuten dort oben. Die hatten zum großen Teil auf dem Gut gearbeitet, waren aber auch bei den Bauern verteilt. Das wollen die vielleicht nicht immer so hören.

Diese Polen mussten ja da wohnen oder schlafen. Abends haben die immer so melancholische Lieder gesungen, das hörte das ganze Dorf. Sie haben ihre Fenster geöffnet, da hatten sie ja Gitter davor, und da haben sie gesungen. Werde ich nicht vergessen. Es waren nur Männer, die dort wohnten.

Wann war das?  

1941/42 waren die Polen schon da, bevor die riesigen Barackenstädte gebaut wurden. Ich weiß nicht, ob das nun Kriegsgefangene waren. Waren ja junge Männer alles, kräftige junge Männer. Die hatten ihr "P" hier dran. Die kamen selber zu den Bauern hin, die wurden nicht abgeholt und gingen abends dann zurück. Also´ne relative Freiheit in der Richtung hatten sie, aber sie waren da drin hinter vergitterten Fenstern, sicher damit sie nachts nicht weg konnten.

Wurden die da eingeschlossen? 

Ja, ich nehme an, dass das so war. Sie hatten ja eine bestimmte Arbeitszeit. Gegessen haben sie bei den Bauern. Ich nehme an, das Haus war zu. Sonst hätten sie das ja nicht vergittern müssen. Sonst wären sie ja auch abends mal rausgegangen. Die haben hinter den Fenstern - Fenster haben sie aufgemacht- gesungen. Dann hätten sie sich ja vor die Tür setzen können im Sommer. Wird verschlossen gewesen sein. 

Was hat man da so gedacht? Haben Sie darüber auch mit anderen Leuten gesprochen?

Nein. Ich war noch ein Kind. Das kann ich nicht sagen, dass ich darüber... Also die Polen müssen nachher vielleicht woanders gewesen sein. Das weiß ich nicht. Die können ja hier auch an anderen Stellen gearbeitet haben. Ich weiß, dass dann hier im Dorf Ostarbeiter bei den Bauern waren. Aber die wohnten dann bei den Bauern. Wir hatten einen Ukrainer, unseren Iwan. Ich hab ein Bild noch von ihm. Ich würde ihn so gerne suchen, aber er wird ja nicht mehr leben.

Haben Sie seine Adresse? 

Hab ich doch nicht. Wir konnten uns doch kaum groß verständigen. Meine Schwester wusste neulich den Nachnamen von ihm. Ich weiß ja nur, dass er Iwan hieß. Wir haben uns beide so gut verstanden. Und da hab ich gesagt, ich würde direkt mal nach Kiew schreiben.

War er aus Kiew?

Nein, aber Ukrainer war er, und das ist die Hauptstadt. Wo kann man sich da hinwenden? Da würde ich mal hinschreiben. Man würde ihn ja mal herbitten, also ich würde ja.. (Ausdruck von Freude) Ich würde furchtbar gerne mal von ihm hören.

Da hätten wir auch Interesse.

Ich würde ja mal hinfahren. Wir waren ja so viel in der SU (Sowjetunion) damals, also vor der Wende. Wie oft war ich in Kiew!

Oder wenn er mal herkommen könnte!

Ja, ach... Der muss ungefähr mein Alter haben. (Zeigt ein Passfoto) Das ist er gewesen. So kam er. Nachher sah er anders aus. So ein junger Mann. Den haben sie auf der Straße aufgegriffen. Jung, ganz jung noch eigentlich. Da hatte er nur diese Sachen. 

Wie alt war er?

Der war vielleicht sechzehn. Und er war sehr verängstigt. Der hatte so´nen Beutel, so ein Tuch mit trockenem Brot dabei, hartes Brot. 

Der kam allein?

Nein, nein, den musste man irgendwo abholen. Und der wohnte bei uns. 

Sie sagen er wäre aufgegriffen worden?

Ja. Er konnte ja nicht deutsch. Beim Nachbarn war eine Polin. Die konnte dolmetschen. Die hat uns dann erzählt, den haben sie, als er irgendwo im Ort war, aufgegriffen in der Ukraine und hier hergebracht. Dann wurden sie hier verteilt. Er durfte eigentlich nicht am Tisch essen. Das war verboten. Aber der hat bei uns am Tisch gegessen, der Iwan.

Gab es eine offizielle Regelung, was und wieviel er zum Essen zugeteilt bekam? 

Der hat sicherlich auch eine Lebensmittelkarte gehabt.

Sie haben dann mit für ihn eingekauft? 

Der hat doch richtig bei uns mit gelebt und gegessen, so wie ich auch. 

Dann hat wahrscheinlich ihre Mutter für ihn mit eingekauft. 

Die hat doch nicht extra was für ihn gemacht. Der musste mit uns frühstücken, Mittag essen, was wir hatten, und abends auch.

Da hat er das gleiche bekommen.

Ja. Kann man doch nicht machen, was anderes...

Es gab sicher auch Leute, die es so gemacht haben.

Gab´s sicher. Vorschrift. Aber es gab ja keinen der uns kontrolliert hat. Der saß nun richtig am Tisch mit uns. Das kann man doch nicht machen. Das ist doch lächerlich. Der sollte bei uns arbeiten. War auch ein lieber Kerl. Der durfte eigentlich auch nicht im Haus wohnen. Der sollte im Stall wohnen. Da war er auch am Anfang, also in der ganz ersten zeit, aber das ging ja nicht. Der weinte dann mal, haben wir auch gesehen, und dann haben wir ihn reingeholt. Es hat sich auch keiner groß drum gekümmert. Eigentlich durfte man es nicht, aber wir haben es dann gemacht. 

beim Öffnen der Kartoffelmiete auf dem Hof in Hoherlehme

Und wo hat ihr Iwan dann geschlafen? 

Der hatte eine kleine Stube dann bei uns. Wir hatten nur ein relativ kleines Haus. Am Anfang hat er - die ersten drei, vier Wochen- in der Häckselkammer geschlafen. Aber das geht ja nicht. Wenn ich an uns denke, wir würden uns ja graulen da draußen. Dann kam er in die Stube. Wir hatten zwei kleine Zimmerchen im Haus gehabt und zwei größere. Mehr war ja nicht. Er war natürlich sehr verschüchtert. Wir haben uns so gut mit ihm verstanden. Wir haben ihn heimlich mit ins Kino genommen. Das haben wir uns nur einmal getraut. Wir kannten den Besitzer vom Kino. Das war mit dem abgesprochen. In der Loge sogar, damit uns keiner sieht. Als es angefangen hatte sind wir erst reingegangen. Damit er da auch mal was sieht. Der kannte kein Kino. Ein Radio kannte er auch nicht, muss ich mal sagen. Der war so erschrocken, als da aus dem Kasten was rauskam. Hat sich vor das Radio hingehockt und es angestiert. Dann hat er Radfahren bei uns gelernt, mussten wir mit ihm Radfahren üben, ja, da war er ganz stolz. Oder Weihnachten, mit seinem bunten Teller. Das hat er hintereinander weg gegessen, weil er das nicht kannte, war für ihn ja fremd. 

Hat er also auch mit Ihnen Weihnachten gefeiert?

Ja. Unter´m Weihnachtsbaum.

Hat er auch Geld bekommen?

Nein, soweit ich es weiß, nicht. Was sollte er auch damit? Der konnte ja nicht innen Laden gehen. Also der kriegte Kleidung von uns, und der kriegte auch zu Weihnachten mal´n Anzug, so´n einfachen. Hemden brauchte er. Er hatte ja nichts. Er kam ja nur bloß mit dem, was er auf dem Körper hatte. Was Süßes kriegte er dann auch mal. Also unser Iwan war auch so, ich will nicht sagen dumm, aber er war so wenig...

Gebildet?

Ja. Also er war sicherlich von einem ganz einsamen Dorf, könnt ich mir denken. Nach dem Krieg ist er mit uns ja von Hoherlehme weg nach Miersdorf, weil wir da Angst hatten da oben. Da war ja alles besetzt. Und dann wollte er nicht zurück nach Hause. Dann haben sie ihn aber gezwungen. Also hat er geweint, und er wollte nicht, aber die Soldaten, die haben ja gemerkt, das ist ja nun einer von dort, und dann musste er weg. Und seitdem wissen wir von unserem Iwan nichts mehr. Nun ist er ja mein Alter ungefähr. 

Und Sie haben ihn gut in Erinnerung?

Ja. Wir haben noch Bilder von ihm. 

Und wer hat dieses Passbild gemacht?

Das ist vom Fotografen. Das mussten wir machen. Ist in Königs Wusterhausen gemacht, und war ganz am Anfang. Da hatte er nur so ein Hemd. Die Ukrainer hatten ja so bestickte Hemden. Er hatte natürlich später von uns Anzüge und andere Sachen.

Und warum wurde er kahl geschoren? 

Die mussten das machen. Wegen Läusen sicherlich. Der muss doch sicherlich durch Lager gekommen sein, nehme ich an. Also so war natürlich bei jedem irgendwer, und die wohnten dann auch da.

Was meinen Sie, wenn Sie sagen, bei jedem?

Bei jedem Bauern in Hoherlehme. Waren ja nicht so viele, zehn waren es ja nur. Die größeren Bauern hatten zwei. Und das Gut. Untereinander haben die auch ein bissel Kontakte gehabt. Also ein Mädchen, jetzt weiß ich nicht, was das für eine war, ne Russin oder Ukrainerin oder n Polin., die hatte mit vielen Kontakt, weil sie die Übersetzungen gemacht hat. Die konnte wohl gut deutsch. Meine Schwester wusste neulich auch den Namen von ihr, den Nachnamen. Sag ich, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich längst irgendwohin geschrieben. Aber die hier gearbeitet haben, die wollten sie ja nicht mehr dort, die haben sie vielleicht doch nach Sibirien... Ich weiß es nicht - hab ich nur gehört. Und da Iwan nun so einer war, der gar nicht weg wollte, der sich geweigert hat... Dieses Mädchen hat dann mal eine Karte für Iwan geschrieben, die er nach Hause geschickt hat. Ist ja nie was angekommen hier, also eine Antwort. 

Er hat also niemals Post bekommen? 

Nie. Also es war schon traurig für ihn, find ich, für so ein jungen Burschen. Der muss 1943zu uns gekommen sein oder schon 1942 und war da bis zum Ende, bis nach dem Krieg. Also unser Iwan, der war unser... wie so ein Bruder, möchte ich beinahe sagen. Also so ein Feindgefühl hatte man eigentlich nicht. Wir fanden bloß ein bisschen ungerecht damals immer, wenn die Franzosen frei gehen konnten und die anderen nicht. Das fanden wir irgendwie nicht ganz gerecht. 

Außer mit Iwan, der bei Ihnen war, hatten Sie auch mit anderen Kontakt?

Wir hatten auch ein bisschen Kontakte zu den anderen im Ort, aber nur, die da bei den Bauern waren. 

Mit denen hat man auch gesprochen?

Ja, soweit sie deutsch konnten. Also so richtig, als wären das Arbeitskräfte, die normalerweise da sind. Früher hatten sie vielleicht ein Knecht oder so. Mit denen hat man normal Kontakt gehabt.

Und wie ging es mit der Sprache?

Na ja, das war schwierig. Also ein bisschen konnten die schon, ein paar Worte, ein paar Brocken. Also z.B. mit dem Iwan anfangs kein Wort. Da musste man am Anfang alles zeigen. Und viel hat er nachher auch nicht... ein paar Worte...  Ich kann mich auch erinnern: es gab eine Frau im Dorf, die eine private Rechnung mit einer anderen Frau hatte. es ging um Persönliches. Und da hat sie einen Polen dazu überredet, eine attraktive Frau, dass er mitmacht. Und die haben beide diese Frau abends überfallen. Dann haben sie sie natürlich gekriegt hinterher. Die Frau ist ins Gefängnis. Hat Strafe absitzen müssen. Und der Pole, der hat sicherlich sein Leben dafür gegeben. Denn der wurde gleich abgeholt. Der war weg für alle Zeiten. Das sind auch so ne tragischen Sachen. 

Gab es denn vielleicht auch mal so was, dass sich eine deutsche Frau, ein junges Mädchen verliebt hat in so einen?

Also ich kenne keine. (lacht) Kann natürlich schon sein, aber das weiß ich nicht. Ob nun diese Frau, die mit dem Polen den Überfall gemacht hat, vielleicht mit ihm ein Verhältnis hatte, weiß ich nicht. Die war eine sehr flotte. Also ich kenne das in Hoherlehme nicht. Ob da natürlich irgendwo mal was war... Aber das wird ja dann so geheimgehalten, damit es keiner weiß, denk ich. Am Anfang hatten wir auch einen Polen. Der war sehr gut. Mit dem haben wir uns gut verstanden, dann wurde er uns weggenommen. Er kam dann immer noch mal zu uns zu Besuch.

Und wie der hieß, wissen Sie das noch?

Er hieß Josef.

Interview mit Frau Elli Müller (1928-2023) am 13.12.2000 aus dem Band: "So war es" - Dokumente, Zeuthen, 2011 

Mit freundlicher Genehmigung von Elli Müller und der Herausgeberin.







Kommentare